Arbeit, Arbeit, noch mehr Arbeit. Mehr als 1/3 der Zeit des Tages verbringen die meisten Deutschen damit, zur Arbeit zu kommen oder zu arbeiten. Muss das sein, ist das überhaupt sinnvoll? Was für Alternativkonzepte gibt es und was würden wir uns wünschen?
Links
Aufhänger: https://www.zeit.de/arbeit/2020-09/viertagewoche-arbeitszeit-work-life-balance-nachteile
Relevante Folgen: https://www.systemproblem.de/2020/11/sp005-wo-ist-das-geld-hin/
und https://www.systemproblem.de/2021/05/sp028-arbeitgebende-und-arbeitnehmende-auf-augenhoehe/
Wöchentliche Arbeitszeit: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-3/woechentliche-arbeitszeitl.html
Junge Leute wollen nicht mehr arbeiten!!!: https://taz.de/Die-These/!5883362/
Durchschnittlicher Arbeitsweg: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/Tabellen/pendler1.html
Teilzeitquoten bei Frauen: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/03/PD22_N012_12.html
Ist der 8h Tag überhaupt sinnvoll: https://www.ingenieur.de/karriere/arbeitsleben/arbeitgeber/4-tage-woche-studie/
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von bhermann, 2022-10-18:
Moin zusammen,
ich hatte dann diesmal nach dem Hören doch noch etwas Diskussionsbedarf:
1. Arbeitszeit und Produktivität
Ihr seid - zumindest am Anfang der Folge - auch in die Falle getappt Arbeitszeit als Präsenz auf der
(oder zumindest Verfügbarkeit für die) Arbeit zu definieren. Mindestens als Informatiker:in aber eher auf den Großteil der Arbeitnehmerschaft angewandt trifft das nicht mehr zu. Mein Gehirn arbeitet nicht nach der Stechuhr sondern dann wenn es will. Sicherlich kann man sich durch Habitus ein bisschen dazu bringen das ein wenig in übliche Zeiten zu lenken, aber es kommt durchaus vor, dass ich spät Abends (also weit außerhalb meiner "Arbeitszeit") eine gute Idee habe die ich dann auch schon mal etwas ausformuliere. Das war auch schon zu Zeiten so als ich noch regulär in einer Firma einer regulären Durchschnittserwerbsarbeit nachging. Das liegt vermutlich daran, dass ich mich nicht als produzierender Arbeitnehmer sehe. ... also das Schema Produktion (gerne am Fließband) wo Arbeitzeit in einer direkten Verbindung mit Ergebnis steht (z.B. Dinge pro Stunde). So funktioniert es aber heute oft nicht mehr. Unser Modell für Arbeit ist aber immer noch da gefangen und wir haben irgendwie noch kein Besseres gefunden. Von daher ist die Abwägung von Flexibilität und Selbstschutz im Arbeitsrecht ein Thema mit dem wir uns vermehrt beschäftigen.
2. Gleiche freie Tage für Alle
Der freie Sonntag (und Samstag) für Alle war leider schon immer eine Illusion. Denn wer öffnet denn das Schwimmbad am Samstag und wer kocht und serviert das üppige Brunch am Sonntagmittag das man sich nach der harten Arbeit unter der Woche so verdient hat? Klar ist es unschön, die einzige Person im Freundeskreis zu haben, die heute mal nicht arbeiten muss. Für Menschen aus der Gastronomie aber absolut normal. Ich denke aber da finden wir als Gesellschaft schon Wege der Koordination und des Ausgleichs. Das muss meiner Meinung nach nicht so festgelegt sein. Ich fände es eher fair, wenn der Gastronom an seinem freien Montag vielleicht auch mal was mit seiner Familie unternehmen kann, weil die dann da auch mal frei hat.
3. Manager mit Präsenzfetisch
Das Problem ist hier meiner Meinung nach nur bedingt, dass hier die eigene Rolle angezweifelt und damit auf Mitarbeiter projiziert wird, sondern, dass Heimarbeit für Manager mit einem enormen Kontrollverlust verbunden ist. Es kommt das Gefühl auf es würde einem entgleiten, wenn man nicht ständig "nachjustiert". Das ist zu einem Stück weit nachvollziehbar, kommt aber aus einer Gedankenwelt die in etwa so geht: Ich bin der Manager und weiß daher am besten wie das zu machen ist, ansonsten wäre ich ja nicht der Manager. Diese Gedankenwelt kann man interessanterweise bereits sehen, wenn man sich ein studentisches Softwareprojekt anschaut. Es gibt da häufig die Person, die am Anfang in die Managerrolle fällt und dann genau in diesen Single-Hero-Mythos reintappt. Ehrlich gesagt: Da war ich auch mal. Effektive Führung funktioniert aber genau anders herum. Die Illusion von Kontrolle aufrechtzuerhalten ist anstrengend und kontraproduktiv und das für alle Beteiligten. Es ist aber immer noch der gerne gepflegte Führungsmythos. Daher finde ich eine restriktive Heimarbeits-Regelung eher so eine Red-Flag in einem Beruf wie dem unseren. Es ist ein Anzeichen einer Kultur des Misstrauens - und ob man da arbeiten sollte (wenn man es sich denn aussuchen kann) ist doch eher fraglich. Außer man mag genau das... Gibts auch.
Mich würde interessieren, wie ihr dazu steht.
von Eisfunke, 2022-06-10:
Vielen Dank für das Feedback! Gute Punkte, die ich mal in den selben Schritten wie Du durchgehe.
Arbeitszeit und Produktivität
An sich richtig, Arbeitszeit und Produktivität hängen nur eingeschränkt zusammen. Das ist ja auch der Kern unserer Argumentation später in der Folge: Produktivität muss durch Arbeitszeitreduktion gar nicht unbedingt stark sinken, wie so oft gewarnt wird. In einer Dienstleistungsgesellschaft wo man, wie Du auch meintest, Produktivität nicht in Dinge pro Stunde rechnen kann, ist Konzentration der entscheidende limitierende Faktor für Produktivität. Und Konzentration ist pro Tag für den durchschnittlichen Menschen auf unter 8h limitiert. Anwesenheit und Verfügbarkeit ist also nicht gleich Produktivität.
Dennoch ist es m.M.n. erstmal richtig, Arbeitszeit auf Basis von Präsenz oder dem Sitzen vor dem PC zu definieren. Denn solche Zeit ist eben definitiv Zeit, die man für andere Sachen definitiv nicht hat. In dem Sinne ist Arbeit quasi die Negierung von Freizeit. Das ist m.M.n. auch das einzig sinnvolle Maß im Kontext von Work-Life-Balance und solchen Fragen. Mir als Mensch ist dabei ja erstmal egal, wie und wann ich produktiv bin, sondern es geht mir darum, wie viel Zeit ich nicht frei gestalten kann.
Andere Perspektive: In einer Utopie ohne Sachzwänge, wo alles gratis ist weil genug da ist, würden die allermeisten Leute sich trotzdem mit etwas "produktiv" betätigen. Hoffentlich viele im selben Bereich, in dem sie auch in der realen Gesellschaft arbeiten. Dennoch würde ich das nicht als Arbeitszeit begreifen, weil es frei, ohne Zwänge und nach dem eigenen Willen gestaltete Zeit ist. Es geht mir beim Thema Arbeitszeit also sozusagen um eine Verteidigung der Freizeit (als Nicht-Arbeitszeit) gegen Verwertungsansprüche von Arbeitgebenden.
Hier kann man auch anknüpfen an mein Problem mit dem Klischee des Startups, bei dem Arbeit nicht nur ein Beruf ist, sondern eine Berufung! Wo alle eine Familie sind und an einem Strang ziehen! Hier wird nämlich nicht nur ein Anspruch auf die Arbeitskraft und -zeit der Arbeiter*in gestellt, sondern auf das ganze Dasein, die ganze Identität.
Siehe auch die Frage nach dem Pendeln: Da ist man üblicherweise nicht produktiv, aber es ist halt dennoch Zeit, die einem für andere Dinge, Entspannung und den Kopf freikriegen fehlt, von der letztendlich der Arbeitgeber profitiert. Bei Verfügbarkeit ist es ganz ähnlich, wenn ich 24/7 auf Abruf bin, bin ich natürlich noch lange nicht 24/7 produktiv, aber dennoch ist das psychisch belastend.
Am Ende ist da wohl in der Tat vieles eine Abwägung zwischen Flexibilität und Schutz, insbesondere auch Schutz der Freizeit. Flexibilität ist wichtig, kann aber als Deckmantel für Ausbeutung verwendet werden, und Schutz ist auch wichtig, kann aber in der Tat auch viele Arbeitende einschränken. Siehe Ideen am Abend. Da habe ich auch keine perfekte Lösung für, außer ganz allgemein Arbeitnehmende und Arbeitgebende auf Augenhöhe zu bringen, da haben wir ja auch ne eigene Folge zu. Mittelfristig wird das aber wohl nicht mehr passieren.
(Sorry, da bin ich zwischenzeitlich ein klitzekleines bisschen vom Thema Arbeitszeit/Produktivität abgekommen, aber das wollte ich jetzt auch nicht wieder löschen, da wird bestimmt nochmal eine ganze Folge drauf aufgebaut :smiley:)
Gleiche freie Tage
Das ist natürlich korrekt. Ich denke aber nicht, dass der Versuch falsch ist, nur weil er nicht perfekt umsetzbar ist. Z.B. dadurch, dass der Einzelhandel hierzulande Sonntags geschlossen haben muss, haben tausende Arbeitende einen freien Tag gleichzeitig mit großen Teilen der restlichen Gesellschaft. Das ermöglicht viel Teilhabe, die sonst erschwert wäre.
Das war auch unser Punkt, dass es nicht falsch ist, da gesetzlich eine gewisse Synchronisation herzustellen. Das sollte nicht zu weit gehen, Flexibilität z.B. für Familien von Gastronomen sich auch mal Montag statt Samstag freizunehmen sollte natürlich trotzdem gegeben sein, dass man nicht für 100% der Menschen die exakt selben zwei Tage als frei festlegen kann und sollte, ist richtig, da stimme ich zu.
Präsenzfetisch
Da würde ich auch insgesamt zustimmen. Ich würde aber dennoch dabei bleiben, dass die Reaktion auf einen solchen Kontrollverlust auch entlarvend sein kann. Wenn ich online Manager lese die schimpfen "zu Hause arbeiten die eh alle nicht!", sehe ich da natürlich primär Misstrauen. Auch ein bisschen "wo kämen wir denn da hin, das haben wir ja immer schon so gemacht, da könnte ja jeder kommen", aber auch durchaus Trotz und Verweigerung gegenüber dem schlichten Fakt, dass die Leute zu Hause ja eben doch arbeiten, auch mit weniger Überwachung.